Nach Monaten der Stille und des Nicht-Schreibens ist es wieder so weit. Ich bin dem Impuls darüber zu schreiben, was mich gerade sehr beschäftigt, nachgegangen, wahrscheinlich ausgelöst durch meinen Prozess, der ins Finale geht – Scheidung. Ich denke viel über dieses Thema und die der Scheidung vorangegangenen Zeit nach. Dieser Prozess ist so vielschichtig wie ein Mensch vielschichtig ist, voller neuer Erkenntnisse und Aha-Momente, aber auch Traurigkeit und Frust. Und so wird auch dieser Artikel sein – viele Gedanken und Beobachtungen, die ich zu Papier bringe, Gedanken über Muster, die so tief in mir, in uns eingeprägt sind, wie ich es mir nie dachte. Es gibt keinen Ratschlag am Ende, sondern eine Art „Beichte“, einfach Gedanken, die rauskommen wollen.
… der Satz meiner Mutter …
Vor ein paar Monaten führte ich mit meiner Mutter ein Gespräch und als ich ganz ehrlich sagte, dass ich keinen Mann möchte, zumindest nicht so bald, sagte sie ganz bestürzt zu mir „Na hoffentlich willst du nicht ohne einen Mann bleiben!“
Dieser Satz hat etwas in mir ausgelöst, wahrscheinlich da es auch witzig war, da meine Mutter so eine ambivalente Beziehung zu Männern hat. Einige Tage später erzählte ich es einer meiner Bekannten und sie sagte dazu „Naja, die Generation deiner Eltern will alles immer in Ordnung haben, für deine Mutter ist es wichtig, dass man als Frau einen Mann hat, der für die Familie sorgt und natürlich jemand, der ihre Tochter liebt und schätzt.“ Für meine Mutter ist es echt schwer, dass ich getrennt bin, da sie nicht weiß, wie ich es eben OHNE EINEN MANN schaffen soll.
… auf der Suche …
Also habe ich mich gefragt, wer ich eigentlich ohne einen Mann bin und ob ich, wenn ich nicht einen Mann habe, zu bemitleiden bin oder nicht. Ich war 14 Jahre in einer Beziehung – es war bis dato meine längste Beziehung. Abgesehen von den schönen Seiten, die ich da erleben durfte, habe ich festgestellt, dass ich mich in der Beziehung auch komplett verloren habe. Das war sehr traurig für mich. Ich habe mir immer gedacht, wenn ich mich um der Liebe Willen dehne und auch verdrehe bin ich ein guter Mensch, ein „besserer Mensch“. Ich habe immer versucht mehr den Partner zu verstehen als mich selbst und dadurch habe ich auch immer wieder „gegen mich“ gehandelt. Da ich in mir nicht sattelfest war, habe ich mich sehr oft beeinflussen lassen, mich leiten lassen von „guten“ Gründen, Gedanken wieso etwas gut wäre für mich oder uns. Was noch tragischer für mich war, war, dass ICH mich immer schuldig gefühlt habe oder „nicht gut genug“, wenn ich versucht habe zu dem zu stehen was ich will oder eben nicht will. Vor allem, wenn es was anderes war als der Partner wollte und ich dann nur hörte, dass die anderen es doch auch können. Ich zweifelte immer wieder an mir selbst und hatte das Gefühl, dass ich so wie ich bin nicht genüge. Das unglaubliche ist, dass mir das erst jetzt – danach – so richtig bewusst wurde.
Als ich plötzlich getrennt und alleine war, musste ich auch feststellen, dass ich mich wie ein kleines Kind fühlte, nicht ahnend was ich bin und wer ich bin – erschrocken, panisch, nicht wissend wie ich es schaffen soll OHNE EINEN MANN, der sich – im Sinne meiner Mutter –um mich „kümmert“. Dieser Satz wirkte in mir und ich begann zu beobachten und zu erkennen. Ich stellte fest, dass es eben auch diesen Anteil in mir gibt, der sich nicht erwachsen fühlt, sondern wie ein Kind in einem erwachsenen Körper, das vor allem aus Angst heraus agiert. Tief in mir dachte ich genau das gleiche wie meine Mutter, nämlich, dass ich es ohne einen Mann nicht schaffe.
Ich beobachtete mich also, meine Handlungen und was diese in mir auslösten. Dabei konnte ich beobachten wie oft „meine Eltern“ in meinen Handlungen durchkommen, meine Erziehung, Muster, die ich in meiner Kindheit mitbekommen habe von meinen Eltern und der Gesellschaft. Ich habe etwa meine Mutter sehr stark in mir erkannt, die sich nur um uns gekümmert hat, wie ich es mit meinen Kindern tat, und wie ihre Mutter vor ihr und die Mütter vor deren Mütter. Sie hat ihre vorbestimmte Rolle vollkommen erfüllt und wahrscheinlich nie in Frage gestellt. Sie hat sich für uns Kinder aufgeopfert – was sie nie so sagen würde, hat sich beruflich überhaupt nicht gefunden und zuallerletzt hat sie sich, so wie ich, komplett in ihrer Beziehung zu ihrem Mann verloren. In ihr konnte ich diese Angst vor dem Alleine-Sein sehen, der Angst ohne einen Mann, ohne finanzielle Mittel dazustehen (im Falle, sie hätte den Mut gehabt zu gehen). Sie war gefangen und abhängig zugleich, wollte weg und doch ist sie geblieben. Ich sah wie sie mich einerseits für den Mut zu gehen bewundert und anderseits weiter in dem Glauben lebt, ich werde es OHNE MANN nicht schaffen.
Und da sah ich plötzlich all die Sätze vor mir, die ich Jahre lang von ihr gehört habe, Sätze darüber, wie die Männer sind (auch viele Abwertungen), warum die Familie das Wichtigste ist, wie man sich als Ehefrau im Hintergrund halten soll etc.. Egal ob ich ihr aufmerksam zugehört habe oder nicht, ihre Sätze sind nicht nur angekommen, ich habe sie fest gespeichert, komplett verinnerlicht habe ich es. Ich handelte danach und lebte es unbewusst, ohne es zu wissen machte ich sie zu meiner Überzeugung. Ich habe mich jahrelang im Hintergrund gehalten, habe diese Glaubenssätze gelebt, sodass es mich jetzt sehr viel Anstrengung kostet sie abzulegen, raus zu gehen und mich als bald geschiedene Frau sichtbar zu machen. Zu sehen wie tief diese Ängste meiner Mutter und die Prägungen meiner Erziehung in mir wirken war sehr spannend und frustrierend zugleich. Ich fragte mich die ganze Zeit ob ich eigentlich je MEINE Entscheidungen oder mein Leben gelebt habe oder ob das MEIN immer verfärbt von all dem war. Es war durchaus schmerzlich mir der Parallelen zu meiner Mutter, die teilweise plötzlich sehr stark sichtbar waren, bewusst zu werden. Es war da aber auch die Einsicht, dass da in meiner Kindheit niemand anderer außer meiner Mutter war, der mir zeigen hätte können was es bedeutet eine Frau zu sein. Alles was ich gesehen habe waren ihre Einstellungen, ihre vorgelebte Werte, die sie selbst gelebt hatte, weil sie es anders nicht kannte und schon gar nicht in Frage gestellt hatte.
Eine Älteste oder eine Weise Frau in dem Sinne gab es nicht, weil wir diese Kultur nicht mehr leben. Mir fehlte jemand, der mir gesagt hätte: „Finde zuerst heraus was und wer du bist und treffe keine Entscheidungen, nur weil du Angst hast alleine zu bleiben, zu verzagen oder einen Fehler zu machen.“ Niemals oder nur selten hört man, sei so wie dich die Natur geschaffen hat – wild, laut, intuitiv, zärtlich und vertraue DEINER inneren Wahrheit und stehe zu ihr, vergleiche dich nicht mit anderen, denn jede(r) ist einzigartig, überprüfe ob dein JA wirklich von Herzen kommt oder nicht und vielleicht das Wichtigste: „Laufe nicht weg vor unerwünschten Gefühlen, sondern stelle dich ihnen.“ Diese Botschaften wären sehr nützlich für mich gewesen und hätten mir einiges in meinem Leben erspart, so sehe ist das zumindest.
Ich glaube, wenn man sich in einem so intensiven Prozess oder einem Lebensabschnitt befindet, der so fordernd ist, wirkt man wie ein Magnet auf Menschen, die gerade dasselbe oder ähnliches erleben. So war es auch bei mir. Überall wo ich hinschaute bzw. wem ich auch begegnete, alles dasselbe. Ich war nicht die EINZIGE, schon gar nicht die LETZTE, sondern EINE VON VIELEN. Die Ängste, die ich in mir erkannte, waren eigentlich nicht neu, nein sie waren schon immer da und nicht nur bei mir oder meiner Mutter, sondern fast bei jeder Frau.
… was bin ich also ohne einen Mann …
Ich war sehr lange schwanger mit dieser Frage und immer noch habe ich keine endgültige Antwort gefunden. Sicherlich bin ich jetzt nicht die, die ohne einen Partner bleiben möchte, auch wenn ich durch meine Erfahrungen dieses Prozesses zutiefst verletzt, gerade noch verschlossen mit tausenden Schlössern und auch misstrauisch bin.
Was ich verstanden habe ist, dass ich große Erwartungen hatte und hoffte, dass er sie erfüllt. Durch die 14-jährige Symbiose war es sehr hart für mich herauszufinden, wer ich ohne ihn bin und das ist auch der Grund wieso ich jetzt gerade keinen Partner will. Ich darf mich neu finden und gut für mich sorgen, denn jetzt wird sich zeigen ob meine Erwartungen und Wünsche im Miteinander mit dem Anderen auch meine Erwartungen und Wünsche sind.
Das alles ist nicht leicht und trotzdem mute ich mich dem Ganzen zu und freue mich, wenn ich aus gut antrainierten Mustern aussteigen kann und etwas mache, das wirklich mir entspricht. Ich erfreu mich daran, wenn die erwachsene Paulina diesen hilflosen Kleinkindanteil bei der Hand nimmt und sagt: „Ich bin für dich da, ich übernehme die Verantwortung für mich, wir schaffen das – auch OHNE MANN.“
Ansonsten habe ich im Moment keine Nerven für diesen zwischenmenschlichen Eiertanz, der sehr oft in Beziehung entsteht und deswegen reicht mir der Tanz nur mit mir.
Also ja, es ist nicht immer leicht, sich den Herausforderungen dieses Prozesses zu stellen, aber es zahlt sich aus, denn ich spüre wie ich daran wachse. Und ich fühle mich freier und mir näher, als ich es mir je dachte und – spannenderweise – fühle ich mich meiner Mutter auch näher.